Atelierbesuch: Theo Schneickert lässt in einem Mannheimer Hinterhaus in G 7 rätselhafte Bilder
auf der Basis von Fotografien entstehen
"Ich will malen, was nicht sichtbar ist"
Von unserer Mitarbeiterin Christel Heybrock
Hinterhaus? Wer dieses Wort mit "finster,
kalt und feucht" verbindet, dürfte zumindest vom ebenerdigen Rückgebäude
im Mannheimer Quadrat G 7, 41 überrascht sein. Im Hof gedeihen Kübelgewächse,
an der Außenwand strebt eine saftige Kletterpflanze nach großflächiger
Eroberung - und innen ist der Raum erfüllt von der luziden Klarheit einer
soeben im Radio übertragenen Barockoper und von der unwirklichen Helligkeit
indirekten Tageslichts, das durchs Glasdach hereinflutet. Es ist das
Maleratelier von Theo Schneickert, ein Raum, der vor Jahren schon Dietmar
Brixys Bilder entstehen sah, aber der wohnte auch noch, von Zimmerpflanzen
umwuchert, im Vorderhaus.
Ob der mit Licht und Klängen erfüllte Raum Theo Schneickerts Bilder inspiriert oder ob
umgekehrt der Maler just diesen Raum in sein Leben zog als die ihm einzig angemessene
Arbeitsumgebung - wer kann das wissen. Aber sie passen hervorragend zueinander,
die Bilder und die hellen weißen Wände, und auch, dass Schneickert klassische Musik
beim Malen förmlich einatmet, das sieht man seinen Bildern an, von denen ein verwandtes
Leuchten, eine verwandte Strukturklarheit und eine vergleichbare Unergründlichkeit ausgehen.
Bruchstücke von Wirklichkeit
Man glaubt die Formelemente seiner Gemälde
fast aus der Leinwand herauspflücken zu können, so plastisch bieten sie sich
dem Auge dar. Aber die Möglichkeiten, Rudimente der Realität in ihnen wieder zu
erkennen, sind gering, wenn auch hier und da vorhanden. Ist die langgestreckte
Form dort eine menschliche Figur? Das Runde ein Kopf? Ein Tor? Dehnen sich in
der Ferne Landschaften aus, zerklüftete Berge, Seen - oder ist alles nur eine
Täuschung, eine kurz aufblitzende Erinnerung an das Leben draußen?
Das Irisieren zwischen Traumelementen und
Bruchstücken von Wirklichkeit ist das wohl wichtigste Charakteristikum von Schneickerts
Bildern. Sie führen dem Betrachter ein von Farben leuchtendes Zwischenreich
vor. Dass sie aber eigentlich aus der Fotografie entstehen, sieht man den
Gemälden überhaupt nicht an.
Überall liegen und stehen zwar fleckige
Läppchen, halb zerquetschte Farbtuben, Flaschen, Teller, Töpfe mit Pinseln und
kleinen Spateln und andere Gegenstände herum, die einem Maler nun mal
unerlässlich sind. Aber den Hinweis in eine ganz andere Richtung geben
vielleicht zwei gebleichte Tierschädel auf der Fensterbank: Schneickert bezieht
seine Motive aus der Natur, aus Waldspaziergängen mit der Kamera, mit der er
Strukturen festhält, die ihn faszinieren. Das können Baumrinden sein und
morsches Holz, Spinnweben, Steine oder Pflanzen und Tiere, oft hat er
Nahaufnahmen in bewusster Unschärfe mitgebracht. Aber auch Details aus
Zeitschriften oder Werbeprospekten enthalten mitunter Formen, die ihn
interessieren. Im Atelier legt er mehrere solcher Dia-Aufnahmen übereinander,
kombiniert sie womöglich mit farbigen Klarsichtfolien, verschiebt sie
gegeneinander und wirft sie mit dem Projektor auf die Leinwand. Wenn die
Sandwich-Erprobungen ein Ergebnis liefern, das ihm zusagt, beginnt er zu malen.
In letzter Zeit allerdings malt er mit
Vorliebe seine eigenen Bilder wieder ab. Das klingt irgendwie unglaublich, die
Ergebnisse aber sind es auch: Denn kein Bild gleicht dem andern, aus der
gleichen Vorlage entsteht jedes Mal etwas völlig Neues, und nur der bewusst
suchende Blick eines pedantischen Betrachters wird hier und da entdecken, dass ein
einzelnes kleines Formmotiv sich wiederholt.
Kleinformatige Kostbarkeiten
Der ganze Vorgang spielt sich folgendermaßen
ab: Schneickert fotografiert eines seiner Gemälde und lässt davon Abzüge im
Format 15 mal 21 Zentimeter machen. Diese Abzüge werden von ihm übermalt -
dabei entstehen kleinformatige Kostbarkeiten von einer atemberaubenden Dichte
und Intensität. Keine dieser Übermalungen ist dabei identisch mit einer
anderen, aber eine oder mehrere wählt er erneut aus für eine Übertragung auf
große Leinwand, so dass wieder großformatige Bilder daraus entstehen: völlig
neue, unverwechselbare Gemälde von leuchtender Klarheit, als stünde einem ein
eigener verworrener Traum vor Augen. "Ich will malen, was nicht sichtbar
ist", erklärt er. Und fügt hinzu: "Letzten Endes ist doch alles ein
Geheimnis."
Mannheimer Morgen 31. August 2010
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