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Presse und Texte - "Mannheimer Morgen", 31.08.2011

Atelierbesuch: Theo Schneickert lässt in einem Mannheimer Hinterhaus in G 7 rätselhafte Bilder auf der Basis von Fotografien entstehen

"Ich will malen, was nicht sichtbar ist"


Von unserer Mitarbeiterin Christel Heybrock


Hinterhaus? Wer dieses Wort mit "finster, kalt und feucht" verbindet, dürfte zumindest vom ebenerdigen Rückgebäude im Mannheimer Quadrat G 7, 41 überrascht sein. Im Hof gedeihen Kübelgewächse, an der Außenwand strebt eine saftige Kletterpflanze nach großflächiger Eroberung - und innen ist der Raum erfüllt von der luziden Klarheit einer soeben im Radio übertragenen Barockoper und von der unwirklichen Helligkeit indirekten Tageslichts, das durchs Glasdach hereinflutet. Es ist das Maleratelier von Theo Schneickert, ein Raum, der vor Jahren schon Dietmar Brixys Bilder entstehen sah, aber der wohnte auch noch, von Zimmerpflanzen umwuchert, im Vorderhaus.

Ob der mit Licht und Klängen erfüllte Raum Theo Schneickerts Bilder inspiriert oder ob umgekehrt der Maler just diesen Raum in sein Leben zog als die ihm einzig angemessene Arbeitsumgebung - wer kann das wissen. Aber sie passen hervorragend zueinander, die Bilder und die hellen weißen Wände, und auch, dass Schneickert klassische Musik beim Malen förmlich einatmet, das sieht man seinen Bildern an, von denen ein verwandtes Leuchten, eine verwandte Strukturklarheit und eine vergleichbare Unergründlichkeit ausgehen.

Bruchstücke von Wirklichkeit

Man glaubt die Formelemente seiner Gemälde fast aus der Leinwand herauspflücken zu können, so plastisch bieten sie sich dem Auge dar. Aber die Möglichkeiten, Rudimente der Realität in ihnen wieder zu erkennen, sind gering, wenn auch hier und da vorhanden. Ist die langgestreckte Form dort eine menschliche Figur? Das Runde ein Kopf? Ein Tor? Dehnen sich in der Ferne Landschaften aus, zerklüftete Berge, Seen - oder ist alles nur eine Täuschung, eine kurz aufblitzende Erinnerung an das Leben draußen?

Das Irisieren zwischen Traumelementen und Bruchstücken von Wirklichkeit ist das wohl wichtigste Charakteristikum von Schneickerts Bildern. Sie führen dem Betrachter ein von Farben leuchtendes Zwischenreich vor. Dass sie aber eigentlich aus der Fotografie entstehen, sieht man den Gemälden überhaupt nicht an.
Überall liegen und stehen zwar fleckige Läppchen, halb zerquetschte Farbtuben, Flaschen, Teller, Töpfe mit Pinseln und kleinen Spateln und andere Gegenstände herum, die einem Maler nun mal unerlässlich sind. Aber den Hinweis in eine ganz andere Richtung geben vielleicht zwei gebleichte Tierschädel auf der Fensterbank: Schneickert bezieht seine Motive aus der Natur, aus Waldspaziergängen mit der Kamera, mit der er Strukturen festhält, die ihn faszinieren. Das können Baumrinden sein und morsches Holz, Spinnweben, Steine oder Pflanzen und Tiere, oft hat er Nahaufnahmen in bewusster Unschärfe mitgebracht. Aber auch Details aus Zeitschriften oder Werbeprospekten enthalten mitunter Formen, die ihn interessieren. Im Atelier legt er mehrere solcher Dia-Aufnahmen übereinander, kombiniert sie womöglich mit farbigen Klarsichtfolien, verschiebt sie gegeneinander und wirft sie mit dem Projektor auf die Leinwand. Wenn die Sandwich-Erprobungen ein Ergebnis liefern, das ihm zusagt, beginnt er zu malen.
In letzter Zeit allerdings malt er mit Vorliebe seine eigenen Bilder wieder ab. Das klingt irgendwie unglaublich, die Ergebnisse aber sind es auch: Denn kein Bild gleicht dem andern, aus der gleichen Vorlage entsteht jedes Mal etwas völlig Neues, und nur der bewusst suchende Blick eines pedantischen Betrachters wird hier und da entdecken, dass ein einzelnes kleines Formmotiv sich wiederholt.

Kleinformatige Kostbarkeiten

Der ganze Vorgang spielt sich folgendermaßen ab: Schneickert fotografiert eines seiner Gemälde und lässt davon Abzüge im Format 15 mal 21 Zentimeter machen. Diese Abzüge werden von ihm übermalt - dabei entstehen kleinformatige Kostbarkeiten von einer atemberaubenden Dichte und Intensität. Keine dieser Übermalungen ist dabei identisch mit einer anderen, aber eine oder mehrere wählt er erneut aus für eine Übertragung auf große Leinwand, so dass wieder großformatige Bilder daraus entstehen: völlig neue, unverwechselbare Gemälde von leuchtender Klarheit, als stünde einem ein eigener verworrener Traum vor Augen. "Ich will malen, was nicht sichtbar ist", erklärt er. Und fügt hinzu: "Letzten Endes ist doch alles ein Geheimnis."

Mannheimer Morgen
31. August 2010